Gehörlosigkeit, Sprache, Kultur
Gehörlose werden sehr oft als ´bedauernswerte Behinderte´ angesehen, die man fremdbestimmter Therapie unterziehen muss. Gehörlose sind demnach nicht nur Hör-, sondern auch Sprachbehinderte. In dem Moment, wo die Gehörlosen jedoch als eine Gruppe mit einer eigenen Sprache respektiert werden, sie also als Sprachminderheit angesehen werden, sind Standpunkte wie die obigen inadäquat und die Einschätzung der Gehörlosen als `hilfsbedürftige Behinderte/Taubstumme` obsolet.
Dies geschieht zugunsten einer Anschauungsweise, die in Betracht zieht, dass es für Gehörlose durchaus uneingeschränkte Kommunikation und Informationen gibt – in ihrer Sprache.
Gehörlose haben tatsächlich ausschließlich auf dem Gebiet des Erwerbs und der Wahrnehmung gesprochener Lautsprachen eingeschränkte Möglichkeiten – alle anderen Behauptungen sind falsch und beschneiden künstlich die Möglichkeiten und Fähigkeiten gehörloser Personen. (Krausneker, 2003 Diss. S. 16 f)
Gehörlose selbst sehen sich als eine kulturelle Gemeinschaft, mit einer eigenen Sprache und Kultur – nur eben zufällig gehörlos.
Hörende erkennen oft nicht, dass gehörlose Menschen ihre eigene Sprache und darüber hinaus eine eigene Kultur haben. Es ist nicht gleich zu bemerken, dass eine gute Ausbildung bei Gehörlosen sehr erschwert wird, durch das Verbot der Gebärdensprache, der Muttersprache der Gehörlosen.
Manche hörende Menschen, die mit Gehörlosen arbeiten oder die Freizeit verbringen, sehen zumindest, dass die gehörlose Minderheit von der hörenden Mehrheit irgendwie falsch oder diskriminierend behandelt wird. Was sie falsch machen, können sie erst beurteilen, wenn sie die Gehörlosenkultur gut kennen.
Die verschiedenen Gehörlosenorganisationen versuchen, das Selbstbewusstsein ihrer gehörlosen Mitglieder zu stärken. Sie setzten sich ein, um die Finanzierung von Dolmetscherinnen / Dolmetschern zu erreichen, die Gebärdensprache in den Gehörlosenschulen durchzusetzen und um die regelmäßige Verwendung von Untertiteln im Fernsehen. Diese Forderungen und noch einige mehr sollen die Lebenssituation gehörloser Kinder und Erwachsener verbessern.
ZUSAMMENFASSUNG
Dass Gehörlosigkeit kein Defizit ist, zeigt sich besonders in der Kultur der Gehörlosengemeinschaft. Diese Gemeinschaft definiert sich über gemeinsame Interessen, Werte und Traditionen und nicht über die Hörschädigung. Die Sprache der österreichischen Gehörlosengemeinschaft, die Österreichische Gebärdensprache, ist nicht nur ein selbstverständliches Kommunikationsmittel, sondern auch prägender Teil der Identität und des Selbstwertgefühls gehörloser Menschen.
Obwohl einerseits die Stigmatisierung der Gebärdensprache in vielen Bereichen noch immer gegenwärtig ist, zeigt sich andererseits in einem breiten Teil der Bevölkerung ein stetig wachsendes Interesse an dieser Sprache. Die Gehörlosengemeinschaft fordert im Zuge ihrer Emanzipation gleiches Recht auf Information und Ausbildung. Am 6. Juni 2005 fand ein erster Schritt in der parlamentarischen Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprache statt.
Kommunikation mit Gehörlosen
Wenn Sie als hörende Person keine Gebärdensprachkenntnisse haben, ist es von Vorteil, einige Hinweise zu beachten, damit die Kommunikation erleichtert wird.
Es gibt einige Möglichkeiten um Kontaktbereitschaft zu signalisieren:
- Gehörlose von vorne an Schulter oder Arm berühren
- winken
- auf den Tisch klopfen
- mit dem Fuß auf den Boden stampfen
- Licht ein- und ausschalten (bei Gruppen)
◊ Bei der Kommunikation sollte ein ausreichender Körperabstand (ca. 60 cm) eingehalten werden.
◊ Gehörlose lesen von den Lippen ab, so ist es sehr wichtig, dass Sie Blickkontakt halten (das Gesicht nicht abwenden), ungünstig ist, wenn Sie ihr Gesicht (z. B. durch Unterlagen) verdeckt halten.
◊ Achten Sie auf die Beleuchtung. Ihr Gesicht sollte hell sein – Gegenlicht, blendendes Licht vermeiden.
◊ Nennen Sie zuerst das Thema, über das Sie reden werden.
◊ Es ist keineswegs notwendig, dass Sie lauter sprechen als gewöhnlich.
◊ Von Vorteil ist es, wenn Sie deutlich sprechen, nicht zu schnell und keinen Dialekt.
◊ Zeigefinger als Hinweisfunktion benutzen.
◊ Nachfragen, ob Sie verstanden wurden.
◊ Stichworte aufschreiben und / bzw. Zeichnung
◊ Da gehörlose Menschen nicht das Telefon benützen können, müssen unbedingt Faxnummern, E-Mail-Adressen oder Handynummern für SMS-Funktion angegeben werden.
◊ Falls es dennoch mit der Kommunikation nicht klappen sollte, dann mit dem Einverständnis der Gehörlosen / des Gehörlosen einen Gebärdensprachdolmetscherin / -metscher (www.oegsdv.at) organisieren.
◊ Das Entscheidungsrecht bei der Auswahl einer Dolmetscherin / eines Dolmetschers, liegt bei der / dem Gehörlosen!
Kleines ABC der Gebärdensprache
Die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) ist nicht nur ein notwendiges Kommunikationsmittel, sondern auch prägender Teil der Identität und des Selbstwertgefühls gehörloser Menschen.
Gebärdensprache ist eine Sprache, die nicht auf Lauten basiert, sondern aus einem manuell-gestischen Code besteht. Sie ist eine vollwertige Sprache, d. h. sie hat eine eigene, von Lautsprache unabhängige, sprachliche Struktur und eine eigene Grammatik.
Die Österreichische Gebärdensprache ist seit September 2005 als eigenständige Sprache gesetzlich anerkannt.
Gebärdensprache stellt eine natürliche Sprache dar, sie wurde nicht erfunden (wie beispielsweise Esperanto).
Sie ist weltweit überall dort auf natürliche Weise entstanden, wo es Gehörlosengemeinschaften gab/gibt.
Gebärdensprache ist nicht überall auf der Welt einheitlich. Es gibt nationale Varianten, sowie regionale Dialekte, die sich – so wie gesprochene Dialekte – voneinander unterscheiden.
Die Sprache ist mit der Kultur der Gehörlosen, der sie entspringt, aufs Engste verbunden. Wie es Prillwitz und Volhaber formulieren: "Nicht die Behinderung, sondern die Gebärdensprache eint die Gehörlosen zu einem Sozialverband, der alle Merkmale einer Sprachgemeinschaft aufweist." (Lit. P. B. Braem 1995: Einführung in die Gebärdensprache und ihre Erforschung)
Das Fingeralphabet der Österreichischen Gebärdensprache |
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Zeichnung: © Thomas Fellinger |