Sprach- und Entwicklungsstörungen
Sprech- und Sprachstörungen
7-8% der Kinder im Vorschulalter sind von einer spezifischen Sprachentwicklungsstörung betroffen. Dies bedeutet, dass sprachliche Schwierigkeiten aus einem ansonsten weitgehend unauffälligen Entwicklungsprofil (insbesondere nicht-sprachlichen Intelligenzleistungen im Normalbereich) herausragen.
Ausprägungen und Erscheinungsformen
Die Ausprägungen und Erscheinungsformen von Sprachentwicklungsstörungen können deutlich variieren. So hat ein Teil der betroffenen Kinder nur Schwierigkeiten, sich sprachlich auszudrücken, wohingegen bei anderen auch ein Verstehen von Sprache beeinträchtigt ist. Letzteres ist oft nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Aufgrund der zumeist genetisch bedingten Schwierigkeiten der Sprachverarbeitung im Gehirn bereitet der Erwerb des Vokabulars und insbesondere der Grammatik, aber auch der Erzähl- und oft der Gesprächskompetenz Schwierigkeiten. Ein Teil der Kinder zeigt zusätzlich Auffälligkeiten des Sprechens, d.h. bei der korrekten und flüssigen Aussprache und dem Erwerb des Lautsystems.
Bei Kindern mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen werden neben den sprachlichen Auffälligkeiten gehäuft Herausforderungen in sprachbezogenen Dimensionen festgestellt:
- Defizite im sprachlichen Kurzzeitgedächtnis, was ein sprachbezogenes Lernen erschwert
- Mängel der Exekutiven Funktionen, z.B. bei zielgerichteten geplanten Denkvorgängen
- Mängel der Selbst- und Emotionssteuerung
- langsamere Entwicklungen der Theory of Mind, d.h. bei der Entwicklung von Vorstellungen, was in den Köpfen anderer Personen vor sich geht, aber auch eigener emotionaler und kognitiver Vorgänge
Mehr als die Hälfte der Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen zeigt auch schriftsprachliche Schwierigkeiten, insbesondere im Bereich des sinnerfassenden Lesens von Texten.
Neben spezifischen Sprachentwicklungsstörungen können Sprachentwicklungsprobleme auch als Teil umfassender Entwicklungsauffälligkeiten, z.B. in Folge eines allgemeinen Entwicklungsrückstandes, einer Autismus-Spektrum-Störung oder Hörbeeinträchtigung auftreten. In diesem Falle wird von nicht-spezifischen (oder sekundären) Sprachstörungen gesprochen.
Weitere Folgen der Entwicklungsstörung
Sprachentwicklungsstörungen stellen eine ernstzunehmende Entwicklungsstörung dar, da sie sich sehr häufig auf das schulische Lernen, die psychische Befindlichkeit (Selbstwert, Ängste, Rückzug) und das Verhalten auswirken und häufig mit Problemen mit Gleichaltrigen verbunden sind. Auch die Wahrscheinlichkeit höherer Schulabschlüsse und beruflicher Qualifikationen und einer späteren Arbeitstätigkeit unter dem persönlichen intellektuellen Potenzial ist bei zu später Erkennung und unzureichender Intervention verringert.
Frühe Erkennung von Sprachentwicklungsproblemen
Dementsprechend bemüht sich die Neurologisch linguistische Ambulanz (NLA) um frühe Erkennung von Sprachentwicklungsproblemen in Kooperation mit den Kinderärzten OÖ (SPES Screenings) und LogopädInnen in den Kindergärten (logopädische Sprachscreening LOGiK-S). Auch Eltern, KindergartenpädagogInnen und LehrerInnen kommt eine wichtige Rolle bei der frühen Beobachtung von sprachlichen Besonderheiten zu. Die NLA bietet umfassende Diagnostik von Sprachentwicklungsproblemen, die neben einer Beschreibung des Entwicklungsstandes der Sprache, des Sprechens und der Kommunikation eine Hörüberprüfung, eine Ermittlung der nichtsprachlichen Denk- und Lernentwicklung sowie eine neuropädiatrische Kontrolle einschließt. Auch die psychische Befindlichkeit und soziale Entwicklung eines Kindes wird über Gespräche mit den Eltern und Beobachtungen erhoben. Im Schulalter werden zudem schriftsprachliche Fertigkeiten untersucht.
Ziel der multiprofessionellen Diagnostik ist die Erhebung des Entwicklungsstands in den vielfältigen Dimensionen, um entsprechende Interventionsempfehlungen abzuleiten und diese in der Familie, Kindergarten und/oder logopädischen Therapie in die Wege zu leiten.
Für Kinder mit komplexeren und ausgeprägten sprachlichen Störungen bieten wir Therapien in unserem Sprachtherapiezentrum der NLA an. Voraussetzung dafür ist eine vorhergehende Diagnostik in der NLA.
Lernstörungen
Die Begriffe Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie) und Rechenschwäche/Rechenstörung (Dyskalkulie) werden unter „spezifische Lernstörungen“ zusammengefasst und beschreiben Beeinträchtigungen im Erwerb des Lesens, Schreibens oder Rechnens. Eine spezifische Lernstörung kann nur einen dieser Bereiche (z.B. nur das Rechtschreiben), zwei Bereiche oder sogar alle drei Bereiche betreffen.
Eine spezifische Lernstörung liegt nur dann vor, wenn die Schwierigkeiten nicht auf eines der folgenden Kriterien zurückgeführt werden können: kein ausreichender Schulbesuch, Intelligenzminderung, neurologische Erkrankungen, schwerwiegende psychische Erkrankungen oder unkorrigierte visuelle Schwierigkeiten.
Seit 2015 gibt es im deutschsprachigen Raum Einigkeit über die Definition, Diagnostik und Förderung der Lese-Rechtschreibschwäche. Die Zusammenfassung findet sich in den sogenannten S3-Leitlinien: www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/028-044.html
Wie erkenne ich eine spezifische Lernstörung?
Generelle Symptome sind langsamer und mühevoller Erwerb der schulischen Fertigkeiten (Lesen, Schreiben, Rechnen) mit vielen Fehlern.
Symptome für Leseprobleme
Frühe Symptomatik
- Im Kindergarten geringer ausgeprägte Lautbewusstheit (weniger Lust und Probleme beim Reimen, Teilen von Wörtern in Silben, Erkennen von Lauten in Wörtern)
- In der Schule weniger Interesse an der Schrift, langsamer Buchstabenerwerb
- Auch wenige Buchstaben können nur schwer zusammengeschliffen werden
- Viele Fehler beim Lesen trotz Übung, auch bei hochfrequenten Wörtern
Späte Symptomatik
- Auch kleine und häufige Wörter werden nur langsam erlesen
- Buchstabierende Lesestrategie
- Stockende Lesemelodie
- „Wortraten“: Wörter werden zu Beginn richtig gelesen, Ende wird (aus dem Kontext) erraten
- Langsames Lesen von Vor- und Nachsilben
- Langsames Lesen von Wörtern und Sätzen
- Leseunlust
Symptome für Schreiberwerbsprobleme
Frühe Symptomatik
- Im Kindergarten geringer ausgeprägte Lautbewusstheit (weniger Lust auf und Probleme beim Reimen, Teilen von Wörtern in Silben, Erkennen von Lauten in Wörtern)
- Langsamer Buchstabenerwerb, vergessen der Buchstabenschemata („wie geht nochmal das /f/“)
- Auch bisher erlernte Laute können nicht sicher geschrieben werden. Ein besonderes Problem stellt das Schreiben von Fantasiewörtern dar!
Späte Symptomatik
- Mehr Rechtschreibfehler
- Problem, orthographische Regeln selbst zu entdecken und diese konsequent anzuwenden. In der Folge werden die Wörter meist so geschrieben, wie sie gehört werden, wobei Fehler bei Kindern bei wiederholten Schreibungen verschiedenartig falsch sein können.
Symptome für Rechenprobleme
- Basisnumerische Defizite: Probleme beim Erfassen von Mengen, Transkodieren von Zahlen (Zahlen Lesen und Schreiben), Orientierung am Zahlenstrahl
- Rechenanwendung: Schwierigkeiten im flüssigen Bearbeiten der Grundrechenarten
Förderung bei Lernstörungen
Drei Grundregeln für die Förderung
- Evidenzbasierte Förderinhalte, z.B. Buchstaben-Laut-Verknüpfung, Silbenschreiben, Mengen- und Zahlbegriffe entwickeln
- Vernetzung aller am Lernprozess des Kindes Beteiligten
- Erhaltung der Motivation des Kindes
Wenn ein „Mehr“ an Übungen, die das Kind zu Hause und in der Schule machen soll, den Schriftspracherwerb nicht merklich verbessert und die Diagnose „Spezifische Lernstörung“ ein Hauptgrund dafür ist, soll an eine spezifische Therapie gedacht werden.
Häufige Begleiter
Die Legasthenie-Problematik kann auch das Verhalten der Kinder beeinflussen. Diese Auffälligkeiten reichen von unvollständigen/fehlenden Hausübung über auffälliges Verhalten bis hin zu Traurigkeit und Zurückgezogenheit. Die Kinder entwickeln eine Abneigung gegen Lesen und Schreiben und es kommt häufig zu Konfliktsituationen beim Erledigen der Hausübungen.
Die Lese-Rechtschreibschwäche kann auch negative Auswirkungen auf andere Fächer haben, da das Lesen eine wichtige Grundlage für den weiteren Wissenserwerb darstellt. Dies kann sogar soweit führen, dass Kinder mit einer Legasthenie als dumm betrachtet werden, obwohl sie über eine ganz normale allgemeine Begabung verfügen. Es ist verständlich, dass eine derartig schwierige Situation auch zu weiteren psychosozialen Problemen führen kann.
Früherkennung
Vorhersage von späteren Lese-Rechtschreib- oder Rechenproblemen ist im Kindergarten oder der Vorschule tendenziell, aber nicht zu 100 Prozent möglich. Aus der Literatur sind folgende Faktoren bedeutsam:
- Familiäre Betroffenheit: Haben andere Familienmitglieder (Eltern, Großeltern, Geschwister) Probleme im Lesen, Schreiben oder Rechnen, steigt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich eine Lernstörung entwickelt.
- Kinder mit Sprachentwicklungsproblemen im Kindergartenalter haben eine stark erhöhte Wahrscheinlichkeit, spätere Leserechtschreibschwierigkeiten zu entwickeln.
- Rechenprobleme werden durch frühe Mengen- und Zahlbegriffsentwicklung vorhergesagt: Kinder, die im Kindergarten- und Vorschulalter weniger gerne und weniger gut zählen, Mengen erfassen und Mengen vergleichen können, haben ein höheres Risiko für die Entwicklung einer Rechenstörung
- Leseprobleme können bereits im Kindergarten- und Vorschulalter durch Defizite im sogenannten „Schnellen Benennen“ (rasches Benennen von Farben, Objekten oder Zahlen) vorhergesagt werden
- Schreibprobleme stehen in Zusammenhang mit im Kindergartenalter erfassbaren Problemen in der Phonologischen Bewusstheit (Lautbewusstheit)
Eine sichere Diagnose ist in der Regel ab der 2. Klasse möglich, Risikofaktoren (siehe oben) dafür sind jedoch bereits ab dem letzten Kindergartenjahr erhebbar. Während die Prognose im Kindergartenalter noch nicht stabil ist, sind am Anfang der 1. Klasse bereits stabile Prognosen möglich:
- Lese- und Schreiberwerb: Buchstabenwissen zum Schulstart
- Rechnen: Zählkompetenz, Mengenvergleich
Spezielle Tipps für Eltern
Häufig wirken sich Probleme, die durch die Lese-Rechtschreibschwäche entstehen, auch auf die Beziehung zwischen Eltern und betroffenem Kind aus. Die Kinder schämen sich für schlechte Noten in Ansagen und versuchen, diese vor den Eltern zu verbergen. Krisen beim Erledigen der Hausübungen sind vorprogrammiert, manche Eltern werfen ihrem Kind auch Faulheit vor.
Aus diesen Gründen ist es notwendig, dass Eltern und Kinder über die Diagnose Legasthenie genau aufgeklärt werden und sich so besser auf diese Problematik einstellen können. Für die Eltern ist damit eine große Aufgabe verbunden, denn ihnen kommt eine entscheidende Bedeutung für die Entwicklung des legasthenen Kindes zu.
Dem Kind den Rücken stärken
Die wichtigste Aufgabe der Eltern liegt darin, ihren Kindern den Rücken zu stärken und sie positiv zu unterstützen. Die Eltern sollen Verständnis für schlechte Noten in der Schule zeigen, anstatt das Kind zu bestrafen oder als faul abzustempeln. Für die Kinder ist dieser Rückhalt besonders wichtig, da sie sich selbst meist mehr über schlechte Noten ärgern als die Eltern. Die Eltern sollen in jedem Fall vermeiden, das legasthene Kind wegen der Lese- und Rechtschreibproblematik unter psychischen Druck zu setzen. Vielmehr kann das Kind davon profitieren, wenn es merkt, dass die Eltern über die Gründe für schlechtere Noten Bescheid wissen und sensibel damit umgehen.
Gemeinsames Lesen
Eine gute Möglichkeit, um das Kind zu fördern, stellt gemeinsames Lesen in der Familie dar. Zwar kann dieses gemeinsame Lesen nicht eine spezifische Lese-Therapie ersetzen, es konnte aber in vielen Studien nachgewiesen werden, dass sich Lesen positiv auf den gesamten Schriftspracherwerb auswirkt. Als wichtige Methode hierzu hat sich das „paired reading“ herauskristallisiert: Erwachsener und Kind lesen zur gleichen Zeit gemeinsam einen Text, das Kind profitiert von der Satzmelodie und ggfs. Unterstützung (über schwierige Wörter helfen, indem die erste Silbe gelesen wird) des kompetenten Lesers. Es ist aber natürlich, dass gerade leseschwache Kinder wenig Motivation zum Lesen aufbringen können. Deshalb muss besonders darauf geachtet werden, dass Bücher gewählt werden, die für das Kind spannend oder lustig sind. Auch Comics oder Zeitschriften eignen sich hierzu gut.
Es erweist sich oft als hilfreich, wenn die Texte in großer Schrift und mit vergrößertem Abstand zwischen den Zeilen gedruckt sind. Auch Texte mit einer deutlichen Einteilung in verschiedene Absätze fallen den Kindern erwiesenermaßen leichter. (Man kann auch Texte kopieren und diese dabei gleichzeitig vergrößern. Oft hilft es zusätzlich, wenn die einzelnen Silben eines Wortes durch Silbenbögen gekennzeichnet werden, die vom Anfang bis zum Ende der Silbe gezogen werden. Diese Aufgabe kann auch gemeinsam mit dem Kind erledigt werden).
Für das gemeinsame Lesen sollten noch ein paar weitere Grundregeln beachtet werden: Es sollte nicht einfach dann durchgeführt werden, wenn ein Elternteil gerade mal Zeit hat, sondern es sollte eine feste Zeit für diese gemeinsame Tätigkeit ausgemacht werden. So können die Kinder erkennen, dass das gemeinsame Lesen auch für die Eltern selbst eine Verbindlichkeit darstellt und ihnen wichtig ist.
Beim gemeinsamen Lesen können sich Kind und Elternteil abwechseln, z.B. nach jedem Satz, vielleicht aber erst auch nach jedem Absatz oder jeder Seite. Wichtig ist dabei, dass das Kind nicht auf seine Fehler fixiert wird, sondern dass diese eher nebenbei korrigiert werden und das Kind Zeit bekommt, seine Fehler selbst auszubessern. Am Ende sollte mit dem Kind noch über den Inhalt des soeben Gelesenen gesprochen werden. Das Kind soll begreifen, dass das Verstehen des Textes den zentralen Aspekt des Lesens darstellt.
Was dabei natürlich nicht vergessen werden darf: Loben Sie Ihr Kind! Zeigen Sie Ihrem Kind, dass Sie es zu schätzen wissen, dass das Kind beim gemeinsamen Lesen mitmacht, obwohl ihm das so schwer fällt.
Ermutigung zum Schreiben
Sie können Ihr Kind auch unterstützen, indem Sie Situationen schaffen, in denen das Kind ohne Druck Gelegenheit zum Schreiben bekommt. Sie können Ihrem Kind den Einkaufszettel schreiben lassen oder es dazu ermutigen, kleine Notizen oder Briefchen an Verwandte oder Freunde zu schreiben.
Kleine Recheneinheiten
Bei Rechenübungen ist es wichtig, diese kurz zu halten: Versuchen Sie, immer eine Rechenart zu trainieren, z.B. nur Additionen ohne Zehnerüberschreitung o.ä. Unterstützend können auch Computerprogramme eingesetzt werden, um diese Übungen auszuführen. Fragen Sie am Institut nach aktuellen und evidenzbasierten Förderprogrammen nach.
Vorsicht vor falschen Tipps
Das Üben der Rechtschreibung ist schwieriger als häufig angenommen. Eltern müssen gut aufpassen, um keine falschen Tipps zu geben. So ist zum Beispiel der gut gemeinte Ratschlag „Du musst nur genau hinhören“ bei vielen Wörtern nutzlos oder sogar irreführend, da viele Wörter anders geschrieben als gesprochen werden. Bei Unsicherheit kontaktieren Sie eine professionelle therapeutische Kraft, wir helfen Ihnen gerne bei der Suche.
Aufmerksamkeitsstörungen
Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Lernen ist eine gute Konzentration und Aufmerksamkeit, daher sind auch neben der Diagnose Lernstörung Probleme mit der Aufmerksamkeit zu beobachten.
Kaum eine andere Erkrankung hat in den letzten Jahren für so viel Aufmerksamkeit und Schlagzeilen gesorgt, wie ADHS. Leider ist oft genug immer noch verharmlosend vom Zappelphilipp-Syndrom die Rede, oft wird es als Mode-Diagnose oder Zivilisationskrankheit abgetan. Mittendrin stehen aber die Eltern und vor allem die betroffenen Kinder und Jugendlichen, die oft hilflos verunsichert und mit ihren Problemen teilweise überfordert sind oder sich alleine gelassen fühlen.
Bei ADHS-Kindern verlaufen Wahrnehmung und Verarbeitung von äußeren Eindrücken und Informationen anders als bei Kindern ohne ADHS. Sie haben Schwierigkeiten herauszufinden, welcher Reiz wann wichtig ist. Der Vogel vor dem Fenster ist für sie genauso wichtig, wie der Lehrer an der Tafel. Das ADHS-Kind kann nur schwer bestimmen mit welchem Reiz es sich in einer Situation beschäftigen soll, bis es Zeit ist ihn wieder loszulassen und sich dem nächst wichtigeren zuzuwenden. Es ist abgelenkt, weil es immer etwas Neues gibt, was Aufmerksamkeit verlangt. So entstehen die typischen Schwierigkeiten, die schon zu Hause beim Spielen oder bei alltäglichen Situationen, wie z.B. dem Anziehen, auffallen und im Kindergarten oder spätestens in der Schule zu Problemen führen. Wenn Außenstehende ein ADHS-Kind beobachten sind sie schnell mit einem Urteil bei der Hand, „Das Kind könne, wenn es wolle“. Diese Einschätzung führt zu viel Ärger, Leid und Unverständnis, denn sie ist falsch. Ein Kind mit ADHS handelt nicht aus bösem Willen, es ist nicht dumm oder faul und seine Eltern sind auch nicht erziehungsunfähig, das ADHS-Kind kann nicht anders.
Was sind die typischen ADHS-Symptome?
Charakteristisch für ADHS sind drei Symptombereiche: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Hyperaktivität liegt nicht in allen Fällen vor, viele Kinder haben ein ADS vom unaufmerksamen konzentrationsschwachen Typ ohne Hyperaktivität. Allerdings hat auch nicht jedes unruhige oder unaufmerksame Kind ADHS. Typisch ist, dass die Verhaltensauffälligkeiten weder dem Alter, noch dem sonstigen Entwicklungsstand des Kindes entsprechen und sich nicht von alleine verbessern. Sie müssen über einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten bestehen und in verschiedenen Lebensbereichen, wie Familie, Kindergarten, Schule oder Freizeit gleichzeitig auftreten.
Wie häufig kommt ADHS vor?
ADHS ist die häufigste psychiatrische Diagnose im Kindes- und Jugendalter. Die Häufigkeit liegt bei 3 bis 5 Prozent, wobei Buben häufiger betroffen sind als Mädchen. Das Verhältnis liegt bei 2:1.
Welche Begleiterkrankungen gibt es?
Zusätzlich zum ADHS können folgende Begleiterkrankungen vorliegen:
Lernstörungen, wie Lese-/Rechtschreibstörung (Legasthenie), Rechenstörung (Dyskalkulie), Angststörungen, aggressive und oppositionelle Verhaltensstörung, Depressionen und Ticstörungen. Auch motorische Störung (Koordinationsprobleme der Grob- und Feinmotorik) können im Zusammenhang mit ADHS auftreten.
Was verursacht ADHS?
Wichtig ist, dass ADHS nicht durch äußere Faktoren verursacht wird. Die äußeren Faktoren, wie wenig strukturierter Tagesablauf, Probleme in der Betreuung, wechselnde Bezugspersonen, Mobbing in der Schule können die ADHS-Symptome deutlich verstärken.
Nach aktuellen Erkenntnissen geht man davon aus, dass es sich bei ADHS um eine Informationsstörung in den Teilen des Gehirns handelt, die verantwortlich für Problemlösung, Planung und Impulskontrolle sind. Wahrscheinlich ist bei Menschen mit ADHS zu wenig Dopamin/Noradrenalin vorhanden, das notwendig ist, um Reize aus der Umwelt richtig zu verarbeiten. Dopamin/Noradrenalin ist ein wichtiger Botenstoff (Neurotransmitter), der Informationen von einer Nervenzelle zur nächsten übermittelt. Das ist nötig, weil die Nervenzellen nicht direkt miteinander verbunden sind, sondern zwischen ihnen ein kleiner Spalt liegt (synaptischer Spalt). Botenstoffe haben die Aufgabe Synapsen mitsamt der geladenen Information zu überbrücken. Ist zu wenig Dopamin/Noradrenalin vorhanden oder wird dieses zu schnell abgebaut, werden Informationen nicht richtig weitergeleitet. Diese Störung im System führt zu einer permanenten Reizüberflutung, die sich in dem hyperaktiven, unaufmerksamen und/oder impulsiven Verhalten niederschlägt.
Den Kindern mit ADHS geht es so als würden sie fernsehen, während ein anderer permanent das Programm wechselt. Es ist ihnen nicht möglich ein Bild festzuhalten, ein neues ist immer wieder neu dazwischen. Aufrufe oder Ermahnungen des Lehrers oder der Eltern gehen in diesem Strom einfach unter, Aufgaben können nur zur Hälfte erinnert werden. ADS-Kinder vergessen aufgenommene Informationen schnell und lernen schlecht aus Erfahrungen. Besondere Mühe bereiten Alltagsaufgaben, die einen bestimmten Ablauf verlangen. Durch die permanente Überreizung sind sie häufiger gestresst und wirken wie unter Strom. Das äußert sich in einem ständigen Getriebensein, starken Stimmungsschwankungen und einer niedrigen Frustrationstoleranz, teilweise auch in Wutausbrüchen.
Wie kann ADHS behandelt werden?
ADHS ist nicht grundsätzlich heilbar. Wichtiges Ziel einer Behandlung ist auf die Symptome - wenn möglich über den ganzen aktiven Tag des Kindes - Einfluss zu nehmen. Wichtig sind pädagogische und verhaltenstherapeutische Maßnahmen, eventuell kann zu einem späteren Zeitpunkt auch eine medikamentöse Therapie als zusätzliche Hilfe erforderlich sein. Wichtig ist die verschiedenen Maßnahmen möglichst ausgewogen miteinander zu kombinieren.
Wie können Eltern dem ADHS-Kind helfen?
- Klare Regeln aufstellen
- ADS-Kinder können sich selbst nicht so gut steuern wie andere Kinder. Sie benötigen Hilfe von außen.
- Positives Verhalten loben
- ADS-Kinder brauchen sofort und häufig positive Verstärkung. Helfen kann auch ein Belohnungsplan.
- Konsequent sein
- Probleme vorhersehen
- Aufträge interessant machen
- Bewegungsdrang analysieren
- Zuneigung zeigen
- Gelassen bleiben
- Ziel ist es gemeinsam positive Erlebnisse mit dem Kind zu haben.