Gewalt an Frauen: „Wir sind oft die erste Anlaufstelle für Opfer von Gewalt“
Weltweit erstrahlen in diesen 16 Tagen gegen Gewalt Gebäude in oranger Farbe, um ein sichtbares Zeichen gegen Gewalt an Frauen zu setzen. Das diesjährige Motto der Kampagne "Man(n) kann Gewalt an Frauen beenden."
Das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder St. Veit und das Elisabethinen-Krankenhauses Klagenfurt haben gemeinsam eine übergreifende Opferschutzgruppe für Opfer häuslicher Gewalt eingerichtet. Darin vertreten sind ÄrztInnen aus den Bereichen Gynäkologie, Chirurgie und Innere Medizin, Pflegefachkräfte sowie MitarbeiterInnen der Fachbereiche Psychologie und Sozialdienst.
Eine davon ist Gynäkologin OÄ Dr. Barbara Pichler.
Im Zuge der UN-Kampagne „Orange The World“ gewährt OÄ Dr. Barbara Pichler, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in St. Veit an der Glan, einen tiefgehenden Einblick in das sensible und oft tabuisierte Thema der Gewalt gegen Frauen. Im Interview spricht sie über die sinkende Hemmschwelle bei Gewalt an Frauen und warum es wichtig ist für die Opfer ein sicheres und unterstützendes Umfeld zu schaffen. Die Ärztin ist Mitglied in der Opferschutzgruppe des Krankenhauses und beleuchtet die Herausforderungen und Notwendigkeiten im Umgang mit Betroffenen dieses schwerwiegenden gesellschaftlichen Problems.
Erste Anlaufstelle für Opfer von Gewalt
Die gynäkologische Ambulanz ist oft die erste Anlaufstelle für Frauen, die Opfer von körperlicher oder sexualisierter Gewalt geworden sind. In ihrer Funktion als Gynäkologin betont sie die Wichtigkeit eines sensiblen und vertraulichen Umgangs mit diesen Frauen.
OÄ Dr. Barbara Pichler, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder St. Veit/Glan beobachtet die stetige Zunahme häuslicher Gewalt. Im Anschluss an die klinische Untersuchung wird den Frauen die weiteren Möglichkeiten einer Begleitung erklärt.
Interview
Welche PatientInnen behandeln Sie in der Ambulanz…
OÄ Dr. Barbara Pichler: Unsere gynäkologische Ambulanz ist oft erste Anlaufstelle für Frauen, die körperlicher oder sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren. Eine forensisch-klinische Untersuchung nach einem gewalttätigen Übergriff kann einerseits im Auftrag einer Ermittlungsbehörde erfolgen, andererseits kann sich eine betroffene Person auch ohne Strafanzeige in medizinische Obhut begeben.
Wenn die Frauen dann in medizinischer Obhut sind, welche Untersuchungen werden vorgenommen?
OÄ Dr. Barbara Pichler: Wir gehen systematisch vor, nehmen diverse Abstriche zur DNA-Gewinnung ab, es erfolgt eine Blutabnahme zur Abklärung von sexuell übertragbaren Erkrankungen, zusätzlich wird Urin abgenommen, um zu eruieren, ob bewusstseinseintrübende Substanzen oder Drogen im Spiel waren.
Welche Verletzungen werden z.B. diagnostiziert nach einem z.B. sexuellen Übergriff?
OÄ Dr. Barbara Pichler: Vielfach handelt es sich nach solchen Übergriffen um stumpfe Traumata, vaginale Verletzungen und Prellungen.
Wie häufig kommt es zu Gewaltfällen, die eine ärztliche Behandlung erfordern?
OÄ Dr. Barbara Pichler: Die Häufigkeit der Gewaltfälle die eine ärztliche Behandlung erfordern lässt sich schwer in Zahlen ausdrücken, da zwischen verschiedenen Formen von Gewalt unterschieden werden muss. Die Dunkelziffer ist hoch und Betroffene holen sich erst spät, oft erst Jahre nach dem Vorfall ärztliche Hilfe. Grundsätzlich wird sexualisierte Gewalt weltweit in allen gesellschaftlichen Schichten und in jeder Kultur ausgeübt.
Nach einer Prävalenzstudie hat jede dritte Frau zwischen 18 und 74 Jahren ab dem Alter von 15 Jahren körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt.
Haben Sie Veränderungen in der Häufigkeit oder Art der Fälle über die Jahre beobachtet?
OÄ Dr. Barbara Pichler: Festzustellen ist, dass vor allem häusliche Gewalt stetig zunimmt.
Es ist zu beobachten, dass die Hemmschwelle zu Übergriffen gegenüber Frauen rapide sinkt.
Betroffene leiden oft an mehreren Formen der Gewalt (psychische, körperliche, soziale, ökonomische Gewalt..). Häufig handelt es sich um eine Kombination mehrerer Gewaltformen.
Wie wird sichergestellt, dass die Privatsphäre der Patientinnen bei der Behandlung und Betreuung respektiert wird?
OÄ Dr. Barbara Pichler: Im Hinblick der Privatsphäre der Patientinnen, wird einerseits versucht Wartezeiten möglichst gering zu halten und andererseits wird gewährleistet, dass lediglich ein/e UntersucherIn in den Prozess involviert ist, um der betroffenen Patientin Sicherheit zu vermitteln. Der Untersuchungsraum ist ein abgeschlossener Bereich, sodass unbefugte Personen die Untersuchung weder optisch, noch akustisch verfolgen können. Es besteht Schweigepflicht, Daten werden anonymisiert.
Gibt es spezielle Schulungen für das Personal bezüglich Datenschutz in sensiblen Fällen?
OÄ Dr. Barbara Pichler: Es besteht für das gesamte Personal eine datenschutzrechtliche Fortbildungsverpflichtung, die in regelmäßigen Abständen wahrgenommen werden muss, um in diesen sensiblen Fällen fachgerecht und kompetent agieren zu können.
Könnten Sie den Prozess beschreiben, der im Krankenhaus St. Veit eingeleitet wird, wenn sich eine Frau zur Behandlung vorstellt, die Opfer körperlicher Gewalt geworden ist? Wird in solchen Fällen automatisch die Polizei informiert, oder gibt es bestimmte Kriterien, die dabei berücksichtigt werden?
OÄ Dr. Barbara Pichler: Unsere Vorgehensweise bei Verdacht auf körperliche oder sexuelle Gewalt ist hausintern in einer Prozess- und Ablaufbeschreibung festgelegt und somit jedem MitarbeiterIn zugänglich. Untersuchungen und Dokumentationen dürfen nur mit Einverständnis der Patientin durchgeführt werden. Die Untersuchung wird möglichst im Haus durchgeführt, gegebenenfalls wird eine entsprechende Fachabteilung bzgl. weiterführender Untersuchung oder notwendiger Behandlung konsultiert.
Die klinisch-forensische Untersuchung erfolgt nach einer speziellen Checkliste mit eigens erstellten Dokumentationsbögen.
Anzeigepflicht besteht bei schwerer Körperverletzung, bei Vergewaltigung muss das Einverständnis der Patientin zur Anzeige vorliegen. Es ist naheliegend, dass mit diesem Schritt Angst verbunden sein kann: Scheu vor den Behörden an sich, vor dem Ermittlungs- und Gerichtsverfahren, vor dem Bekanntwerden des Geschehnisses. Diese Sorge sollte der Patientin durch eine umfassende Information und eine Beantwortung all ihrer Fragen genommen werden.
Sie sind Mitglied der gemeinsamen Opferschutzgruppe des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder St. Veit und dem Elisabethinen-Krankenhaus Klagenfurt. Welche Hilfsangebote stehen Frauen zur Verfügung, die körperliche Gewalt erfahren haben?
OÄ Dr. Barbara Pichler: Im Anschluss an die klinische Untersuchung wird den Frauen die weiteren Möglichkeiten einer Begleitung erklärt. Es gibt unterschiedliche Anlaufstellen, an die sich Betroffene wenden können. Informationen über Opferschutzeinrichtungen wie:
- Gewaltschutzzentrum Kärnten
- 24h Frauenhelpline
- Frauenhaus Klagenfurt/Villach
- Notschlafstelle Juno
- Psychiatrischer Not- und Krisendienst
werden der Patientin mitgegeben und auf Wunsch auch von unserer Seite vermittelt.
Wie finden Sie die Balance zwischen Mitgefühl und Distanz?
OÄ Dr. Barbara Pichler: Im Umgang mit Personen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, ist Einfühlungsvermögen gefragt. Nach einem traumatischen Ereignis sucht die betroffene Person Hilfe. Diese sollte ihr nicht nur fachlich geboten werden. Neben einem respektvollen Umgang sind Geduld und ein geeignetes Maß an Empathie gefragt. Man muss jedoch auch eine nötige Distanz wahren um wertfrei zu bleiben. Man sollte sich bewusst sein, dass diese Erlebnisse auch Einfluss auf das eigene Wohlbefinden haben können. Fallbezogene Diskussionen mit KollegInnen können helfen, mit diesen Situationen besser umzugehen.
Was raten Sie Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind?
OÄ Dr. Barbara Pichler: Frauen sollten sich unbedingt zeitnah an spezielle Beratungsstellen wenden, nur so können weitere psychische und körperliche Folgeschäden verhindert bzw. vermindert werden.
Schwerpunktthema in den Häusern
Anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen wird ab 25. November in den Krankenhäusern in St. Veit und Klagenfurt umfangreiches Informationsmaterial für MitarbeiterInnen und PatientInnen mit relevanten Auskünften zum Thema „Stoppt Gewalt an Frauen“ ausgehängt. Außerdem erhält jede Station eine Informationsmappe zur Kampagne von „Orange the World“ und zum Thema Opferschutz.
Stoppt Gewalt an Frauen. Diesen Appell senden die Fachärztin OÄ Dr. Barbara Pichler und DGKP Petra Koch, Bereichsleiterin an der Interdisziplinären Ambulanz und Mitglied der Opferschutzgruppe.
Zu „Orange the World“
16 Tage gegen Gewalt an Frauen
Die Aktion „Orange the world“ wurde 2015 von der UN Women NY initiert und läuft alljährlich während der „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“, die am 25. November, dem „Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“ beginnt und am 10. Dezember, dem „Internationalen Tag der Menschenrechte“, endet. In dieser Zeit werden weltweit Gebäude und Monumente orange beleuchtet. In Österreich wurde die Aktion erstmals 2017 durchgeführt. Als Kooperationspartner konnten Soroptimist Österreich, das Ban Ki-Moon Centre Wien und HeForShe Graz gewonnen werden, als Schirmherrin die Schauspielerin Ursula Strauss.
Gibt es in Ihrem Umfeld Gewalt gegen Frauen?
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