Orthopäde: „Das Frauenknie ist anders als das Männerknie“
An der Abteilung für Orthopädie und Traumatologie im Elisabethinen-Krankenhaus Klagenfurt befasst man sich intensiv mit den „Gender-Unterschieden“ – insbesondere bei der Implantation von künstlichen Gelenken.
Diese Unterschiede sind nicht nur für MedizinerInnen von Interesse, sondern auch für SportlerInnen und PhysiotherapeutInnen. Obwohl es diesen biomechanischen Unterschied schon immer gegeben hat, gibt es erst seit kurzem Prothesen, die auf die weibliche Anatomie des Knies angepasst sind. Die Abteilung für Orthopädie und Traumatologie im ElisabethinenKrankenhaus Klagenfurt berücksichtigt diesen Gender-Unterschied bei der Implantation von künstlichen Gelenken.
Der Vorstand der Abteilung, Prim. Dr. Oliver Djahani, beantwortet häufig aufkommende Fragen zu diesem Thema.
INTERVIEW
Stimmt es, dass mehr Frauen Prothesen tragen als Männer?
Prim. Dr. Oliver Djahani, Vorstand der Abteilung für Orthopädie und Traumatologie: Ja das stimmt. Die Verteilung für Knieprothesen liegt bei 60:40 Frauen: Männer. Ab 75 Jahren verschiebt sich dieses Verhältnis noch weiter zu den Ungunsten der Frauen, dann sind nämlich doppelt so viele Frauen wie Männer betroffen. Studien und Statistiken zeigen, dass Frauen in der Bevölkerung insgesamt häufiger von Kniegelenksarthrose betroffen sind, was eine der Hauptursachen für den Einsatz von Knieprothesen ist. Zu erklären ist dies mit den anatomischen Unterschieden, Lebensstil und Gewicht, hormonelle Einflüsse und dem Gesundheitsverhalten im Vergleich zu dem von Männern.
Viel wurde schon über das „Genderknie“ geschrieben und gesprochen. Wie beurteilen Sie das? Braucht es eigene Knieprothesen für Frauen?
Durchaus. Die Geometrie des Kniegelenkes unterscheidet sich interindividuell und insbesondere zwischen den Geschlechtern. Bei Frauen zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede, denen auch bei der Prothetik Rechnung getragen werden muss. Sonst kann es passieren, dass z.B. ein zu großes Gelenk implantiert wird, das Probleme bereiten kann. Hinzukommen aber noch viele weitere geometrische Merkmale, die bei modernen „Genderknien“ Berücksichtigung finden. Der Oberschenkelhals, der bei Frauen stärker nach vorne geneigt ist und schräg in Richtung Hüfte verläuft, führt dazu, dass Frauen ihre Kniegelenke häufig nach innen drehen. Dadurch neigen sie eher zu X-Beinen im Vergleich zu Männern. Diese anatomische Besonderheit erhöht beispielsweise das Risiko für Kreuzbandrisse.
Prim. Dr. Oliver Djahani, Vorstand der Abteilung für Orthopädie und Traumatologie bei einer Knieuntersuchung
Allein in Österreich erhielten 2023 mehr als 15.000 PatientInnen eine Knie-Totalendoprothese. 61 % Prozent davon sind Frauen, nur 39% Prozent Männer.
Es ist zu erwähnen, dass Österreich unter den Top 3 Nationen in Europa hinsichtlich der Anzahl an Knieprothesen pro 100.000 Einwohner liegt. Zu dieser hohen Zahl tragen die steigende Lebenserwartung und der hohe Anteil älterer Menschen in der Bevölkerung bei. In Österreich wird kontinuierlich an der Verbesserung der Knieprothetik geforscht. Fortschritte in der Materialtechnologie, individualisierte Prothesen und verbesserte Operationsmethoden tragen dazu bei, die Ergebnisse für PatientInnen weiter zu verbessern. Auch die Entwicklung von personalisierten Knieprothesen, die exakt an die Anatomie des Patienten angepasst sind, ist ein aufstrebender Trend.
Welche Bedeutung hat das Körpergefühl?
Angeblich sprechen Frauen, die in den vergangenen Jahren schon eine Knie Endoprothese erhalten hatten und nun auf der zweiten Seite mit dem neuen Gelenk versorgt wurden, übereinstimmend von einem angenehmeren «Körpergefühl» mit dem neuen Gelenk.
Man kann das tatsächlich messen. Diesbezüglich wurde vor Jahren ein Score eingeführt, der sogenannte „forgotten joint score“. Er gibt an, inwieweit der/die PatientIn überhaupt das Gefühl hat, ein künstliches Gelenk zu haben. Einflussfaktoren für ein besseres „Gelenksgefühl“ sind sicherlich einige zu nennen. Hier sehe ich die individualisierte, an die jeweilige Anatomie angepasste Versorgung des Patienten mit einem künstlichen Kniegelenk als entscheindeden Faktor. Das inkludiert natürlich auch die geschlechterspezifisch angepasste Versorgung.
Kann man sich vor einer OP eine Knie-Prothese „aussuchen“?
Nein. Das entscheidet einzig und alleine der/die ChirurgIn, da diese/r das entsprechende Know-how besitzt und somit ganz klar weiß, welcher Prothesentyp für den PatientInnen am besten ist. Die Prothesenauswahl richtet sich nach der Erfahrung mit dem Implantant, den biomechanischen Besonderheiten und den mittleren Überlebensraten, die im Register dargestellt werden.
Wo liegen die Unterschiede zwischen Männer- und Frauenprothesen?
Die Unterschiede zwischen den Prothesen für Frauen und Männer liegen im Design. Dieses erleichtert dem Chirurgen, die Anpassung an manche „Frauenknie“ besser vorzunehmen, um einen verbesserten Sitz zu ermöglichen. Prothesen für Frauen haben ein schlankeres Design und anatomisch angepasste Größe und Form. Weiters ist auch zu erwähnen, dass Frauen einen größeren Q-Winkel haben, welcher mit den angepassten Prothesen besser ausgeglichen wird.
Werden Frauen-Prothesen jetzt grundsätzlich bei allen Patientinnen eingesetzt?
Nein. Und das ist auch gar nicht nötig. Es erfüllen auch viele Patientinnen nicht die Kriterien für diesen Einsatz. Die ChirurgInnen entscheiden entsprechend ihrer Planung und manchmal sogar erst während der Operation, welches Implantat passend für die Patientin ist und eingesetzt werden kann. Auch Frauen Knie unterscheiden sich meist durch die Größe und Form, weiters gibt es auch unter Frauen anatomische Unterschiede, somit kann es durchaus vorkommen, dass eine Standard-Prothese passender für eine Patientin ist.
Gibt es auch künstliche Hüftgelenke speziell auf die Anatomie von Frauen zugeschnitten? Wenn nicht, wäre das relevant für die Zukunft?
Nein. Namentlich nicht, jedoch gibt es sehr viele Optionen hinsichtlich Prothesendesign, die den anatomischen Anforderungen von „Frauenhüften“ gerecht werden. Auch in der hüftersetzenden Chirurgie setzt sich zunehmend die individualisierte Rekonstruktion durch ein künstliches Gelenk durch. Und das ist schließlich nicht nur ein Vorteil für Frauen allein.
Erfüllung der UN Sustainable Development Goals (SDG)
Mit den Bemühungen rund um das Thema "Der Genderunterschied im Bezug auf das Knie" erfüllt das Elisabethinen-Krankenhaus Klagenfurt auch 3 der insgesamt 17 „Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen bis 2030“ (SDGs). Diese definieren das Erreichen von globalen und nachhaltigen Zielen.
Ziel 3 Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern
Ziel 5 Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen
Ziel 17 Umsetzungsmittel stärken und die Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben erfüllen