„Die Sehfrühförderung schenkte uns neue Hoffnung“
Die Untersuchungen bescheinigten Marcel eine Überlebenschance von einem Prozent. Sollte er dennoch überleben, wurde von den Ärzten bescheinigt, dass Marcel schwerstbehindert zur Welt kommen würde und heimbeatmet werden müsste. Mit dieser Diagnose begann für die Eltern die schlimmste Zeit ihres Lebens. „ Es gibt viele Probleme vor denen man davonlaufen kann, aber das funktioniert in so einer Situation nicht."
„Wir wollten unser Kind nicht zwingen, auf der Welt zu bleiben"
In der 35. Schwangerschaftswoche wurde der Kaiserschnitt vereinbart. Die Eltern mussten sich vorab entscheiden, wie intensiv-medizinisch sie Marcel betreut haben wollten. „Mein Mann und ich waren uns einig, dass er nur die Grundversorgung erhält – wir wollten unser Kind nicht zwingen, hier auf Erden zu bleiben. Der Weg zum Kreissaal war wohl der schwierigste, den eine Mutter gehen muss. Ich musste so viel weinen, ich hatte so viel Angst, aber keiner konnte mir helfen."
Nachdem Marcel zur Welt kam, wurde er auf eine Station verlegt. Dort konnten die Eltern mit ihrem Kind Zeit verbringen, bis es sich verabschiedet. Aufgrund seines Zustandes wurde er nach vier Tagen notgetauft. „Marcel war ein Kämpfer und nach acht Wochen durften wir
ihn mit nach Hause nehmen", erinnert sich Christine S. an die sorgenvollen Stunden vor 13 Jahren.
„Ob man will oder nicht, man muss diese Situation annehmen"
Seit seiner Geburt leidet Marcel an Hydrocephalus, einer Störung des Hirnwasserhaushaltes, an Ohrenproblemen, einer weichen Gaumenspalte und einem gutartigen Bindehauttumor. Seine Sehkraft am linken Auge beträgt drei Prozent, rechts ist es unwesentlich besser, auch aufgrund vieler Hornhautnarben. Deshalb wurden die Eltern auch an die Sehschule verwiesen. „Ich war zunächst skeptisch, aber dann habe ich zu unserem Glück angerufen und die Sehfrühförderung nahm ganz konkrete Formen an. Etwa zwei Monate später hatten wir unseren ersten Termin, zuerst wöchentlich, in späteren Jahren einmal im Monat".
Kleine Auszeiten Dank Sehfrühförderung
Bei Marcel stellte sich so schnell eine positive Veränderung ein. Er begann zu robben, zu lautieren und etwas mit den Augen zu fixieren. „Über die Jahre machte Marcel tolle Fortschritte – und ein Bonus ist sein Sprechen. Die Sehfrühförderung war eine große Hilfe. Man lernt zu verstehen, was es heißt, nichts oder sehr schlecht zu sehen und worauf man achten sollte. Für uns und speziell für mich als Mutter war es eine kleine Auszeit. Die Sehfrühförderin, so war es zumindest bei mir, unterstützt und fängt einen auf, wenn man mal einen „Hänger" hat. Leider endet die Sehfrühförderung mit dem Schuleintritt, der Bedarf an Betreuung aber nicht. „Der Schulbeginn war schlimm, ich stand ständig in der Schule, der Direktor rief mich ständig an, die Lehrer waren maßlos überfordert", erinnert sich die Mutter.
„Nach vielen Gesprächen und schwierigen Wochen haben wir uns dann entschieden, Marcel in die Förderklasse der Volksschule Rohrbach zu schicken." Nach deren Auflösung besucht er nun die Schwerstbehindertenklasse der Musikvolksschule Altenfelden, die sich auf beeinträchtigte und verhaltensauffällige Schüler spezialisiert hat.
„Heute schafft es Marcel, einen ganzen Tisch zu unterhalten"
Auch wenn die Anfänge sehr schwer waren. Mittlerweile kommt Marcel gut zurecht: „Er ist klüger, als er aussieht. Man traut meinem Sohn nicht viel zu – aber er kann schreiben, lesen und rechnen. Er spielt gerne Gitarre, hört Musik und schafft es, einen ganzen Tisch zu unterhalten".
Welche Zukunftswünsche hat die Familie nach diesen herausfordernden Jahren? „Wir wünschen uns für unsern Sohn, dass er einen Job in einer geschützten Werkstätte bekommt und in seiner ´eigenen` Wohnung leben kann".
30 Jahre Sehfrühförderung Barmherzige Brüder Linz:
Jeden dritten Tag wird in Österreich ein Kind geboren, das nicht das Licht der Welt erblickt. Eine Situation, die vor allem die Eltern vor scheinbar unlösbare Probleme stellt. Hier hat sich das Sehfrühförderzentrum im Konventhospital der Barmherzigen Brüder als einzige Sehfrühförderstelle in Oberösterreich etabliert. 1987 gegründet, feierte dieses heuer 30-jähriges Jubiläum. Das Team besteht aus sechs Sehfrühförderinnen und Dr. Magdalena Geibinger als betreuende Ärztin der Sehfrühförderung.
Die Betreuer kommen in das jeweilige Zuhause und stellen für das Kind individuell ein Förderprogramm zusammen. Auch die Eltern werden mit eingebunden und geschult, wie sie ihr Kind unterstützen können. Dazu Sandra Scheider, die Leiterin der Sehfrühförderung: „Kinder mit einer Sehbeeinträchtigung können unterstützt werden, indem man ihnen Material mit guten, starken Kontrasten anbietet. Spielmaterial mit einer Taschenlampe zu beleuchten oder im abgedunkelten Raum mit verschiedensten Lichtreizen (z.B. Discolicht, bunte bewegende Glühbirnen, Lichterketten, usw) zu arbeiten, weckt eine hohe Aufmerksamkeit.
Der Spielbereich des Kindes sollte so gestaltet werden, dass die Kinder selbst tätig werden können: Man kann Glöckchen zum Klingen bringen, mit Folien rascheln, Spielzeug mit einem Gummiband fixieren, damit es nicht immer wegrollt sowie Bilder oder Tücher anbringen - mit guten Kontrasten in Schwarz/Weiß oder kräftigen Farben. Das Material soll die Kinder zum Sehen, Fühlen, Schmecken, Hören, Riechen anregen. Durch die Förderung aller Sinne können sie so vom "Greifen" zum "Begreifen" kommen. Dadurch bekommen sie die Möglichkeit, ihr Restsehvermögen bestmöglich zu nützen und einzusetzen oder die Sehschädigung über andere Sinnesbereiche auszugleichen."
Unterstützung kommt vom Lions Club Linz City
2008 wurde gemeinsam mit dem Lions Club Linz City die ehrenamtliche Initiative KLEIN.BLIND.KIND ins Leben gerufen, um betroffene Familien auch außerhalb der ambulanten bzw. mobilen