Nehmen Sie bewusst Ihre Gefühle wahr?

Mag. Manuela Schwanzer ist Gesundheitspsychologin und  Psychotherapeutin im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien. Im Interview erzählt sie, wie sich Mitarbeiter am besten  vor und nach der Corona-Krise mit Ihren Ängsten und Sorgen auseinandersetzten können.

 

Was sehen Sie als größte Herausforderung, um in Krisen wie z.B. Corona trotzdem resilient zu sein?

In Krisensituationen resilient, demnach trotz höchster emotionaler Anforderungen psychisch stabil  zu bleiben, setzt eine gut ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstfürsorge und das bewusste Wahrnehmen eigener Bedürfnisse und Belastungsgrenzen voraus. Auch Wissen über individuelle Möglichkeiten zur Stressreduktion und bei Bedarf auch die Möglichkeit auf soziale Unterstützungsressourcen zurückgreifen zu können, spielen bei der Stabilisierung des emotionalen Gleichgewichts eine wichtige Rolle. Menschen, die nun schon vor dem Ausbruch einer Krise mit belastenden Lebenserfahrungen (zB familiären Spannungen, Trennungen, Arbeitsplatzverlust, Erkrankungen...…) konfrontiert sind,  verfügen möglicherweise gerade dann aber nicht über ihre vollste psychische Stabilität oder innerpsychische Verarbeitungsmöglichkeiten. Zusätzlich erschwerend mag dann auch das Auftreten weitere Belastungsszenarien  (zB finanzielle Sorgen durch geringeren Verdienst während  Kurzarbeit, Mehrfachbelastungen durch Arbeiten im Krisenmodus, soziale Isolation…) wirken.

 

Was sollten Menschen beachten, die sich belastet fühlen und Angst vor einer 2. Coronawelle haben?

 

Das Erleben einer Pandemie mit den damit verbundenen Einschränkungen und deutlichen Veränderungen der gewohnten und damit sicherheitsgebenden Alltagsabläufen, stellt für die meisten Menschen in Mitteleuropa eine vollkommen neue Erfahrung dar. Es erschüttert das grundsätzlich vorhandene Vertrauen ins Leben (man spricht hier vom sgn. Kohärenzgefühl) und konfrontiert mit der Tatsache, dass die Welt nicht immer verstehbar und kontrollierbar ist. Darauf mit emotionalen Symptomen zu reagieren, ist vorerst einmal eine tiefst menschliche und in diesem Sinne ganz normale Reaktion auf ein nicht- normales Auslöseereignis. Je nach grundlegender psychischer Stabilität können sich aber auch anhaltende Belastungssymptome wie Ängste, eine Neigung zum Grübeln und Sorgen zeigen. Hier gilt es folgende Faktoren zur Unterstützung der psychischen Stabilität zu berücksichtigen:

 

  • Begrenzen Sie Ihren Medienkonsum: gerade in den letzten Monaten haben wir verstärkt erlebt, dass Covit 19 das beherrschende Thema in der medialen Berichterstattung darstellt. Die damit verbundene stetige Konfrontation mit bedrohlichen Erkrankungs- und Todeszahlen (oftmals mit entsprechend verstörenden Bildern hinterlegt)  ist ein starker Belastungsfaktor für psychische Stabilität. Informieren Sie sich nur einmal pro Tag in einem seriösen Medium nach der aktuellen Faktenlage, Ihr restlicher Medienkonsum sollte sich dann aber mit anderen Inhalten beschäftigen.
  • Halten Sie sich von Schwarzmalern, Panikmachern und Verschwörungstheoretikern fern! Setzen Sie bewusst Grenzen  und verzichten Sie auf die Teilnahme entsprechend beunruhigenden Massen- SMS, Whats up-Gruppennachrichten und Nachrichten auf anderen Kommunikationskanälen. Sie werden sonst dadurch gezwungen sich immer wieder am Tag mit den bedrohlichen Inhalten zu beschäftigen, ohne deren Bedrohungscharakter verringern zu können.  Viele Verschwörungstheorien stellen auch den Versuch dar etwas sonst Unerklärliches verstehbar und damit nachvollziehbar zu machen, selbst wenn die dafür gefunden Ursachen inhaltlich nicht richtig sind. Wir Menschen suchen nach verstehbaren Ursachen für die Akzeptanz von erlebten Erfahrungen (da wir mit ihnen so leichter umgehen können)  und haben eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Neigung sogar Fake-News zu akzeptieren, nur um einen vermeintlichen  logischen Ursache- Wirkungsverlauf nachvollziehen zu können.
  • Nehmen Sie bewusst Ihre Gefühle wahr und sprechen Sie auch mit Anderen darüber: in ungewohnten Situationen werden wir  auch mit Angstgefühlen, Stress, Verwirrung, ect. konfrontiert. Dies stellt eine verständliche, aber bei einem Zuviel auch überschwemmende Belastungserfahrung dar. Nehmen Sie sich Zeit Ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen, klar zu beschreiben und auszudrücken. Für manche Menschen ist es hilfreich darüber zu schreiben oder ihnen auf einer kreativen Ebene (malen, singen, tanzen,..) Ausdruck zu verleihen. Dies alles sind Möglichkeiten dem inneren Erleben einen äußeren Ausdruck zu verleihen und damit die emotionale Verarbeitung und das Umgehen mit diesen Gefühlen zu unterstützen. Anderen ist ein Gespräch mit einem vertrauten Menschen hilfreich. Falls Sie in Ihrem sozialen Umfeld keine Möglichkeit dafür finden können, scheuen Sie sich auch nicht professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen!
  • Begrenzen Sie das Grübeln: Grundsätzlich ist Grübeln eine Bewältigungsstrategie im Umgang mit Stresssituationen, ein Zuviel davon hat aber genau die gegensätzliche Wirkung und erzeugt zusätzlichen Stress. Überlegen Sie sich daher schon im Vorhinein, welche ablenkenden Maßnahme Sie ergreifen könnten, so es wieder einmal zu einer „Grübelattacke“ kommen sollte (Sport, Telefonate mit Freunden, kochen,…)
  • Fokussieren Sie auf positive (Gesprächs)inhalte und führen Sie regelmäßig Entspannungsübungen durch: Angst und Entspannung kann in unserem Organismus  nicht gleichzeitig stattfinden, Entspannungsübungen können   daher sehr effektiv zu einer Verringerung der Angstbelastung beitragen. Auch das Fokussieren auf positive Inhalte beruhigt und stabilisiert.
  • Erinnern Sie sich an Möglichkeiten zur aktiven Verminderung Ihres persönlichen Erkrankungsrisikos: das bewusste Befolgen der kommunizierten Verhaltensweisen zur Verringerung des Ansteckungsrisikos (Abstand halten, Hände waschen,…) ermöglich Ihnen eine aktive Schutzmaßnahme wahrzunehmen.
  • Denken Sie zukunftsorientiert! Vergessen Sie nicht, dass jede Situation vorüber geht und planen Sie schon jetzt Aktivitäten für die Zeit danach!

Welche Maßnahmen kann Jeder ergreifen, um die soziale Isolation für sich erträglicher zu machen?

 

Falls Sie durch Quarantänemaßnahmen gezwungen sind längere Zeit alleine zuhause zu verbringen, kann dies natürlich auch eine emotional belastende Erfahrung darstellen. Einige grundlegende Tipps können Sie dabei unterstützen diese herausfordernde Zeit leichter durchzustehen:

 

  • Einhalten der gewöhnten Tagesstruktur: Dies hilft Ihnen einem möglichen inneren Chaos und Unruhezuständen entgegenzuwirken. Gewohnte Rituale (wie zB Einhalten der üblichen Aufstehzeiten, Arbeitszeiten, Normalgewand anstelle von Pyjama den ganzen Tag über,) unterstützt ein subjektives Sicherheitsgefühl.
  • Planen Sie Ihren Tag! Mit aktiver Planung Ihres Tages wirken Sie einem Hilflosigkeitsgefühl und Kontrollverlust entgegen, da Sie sich aktiv mit der Gestaltung des Tages beschäftigen und damit ein unangenehm-passives Ertragen der Situation  überwinden können.
  • Begrenzen Sie Ihren Medienkonsum: nur seriöse und klare Informationen geben innere Sicherheit, Fakten helfen gegen überschwemmende Verunsicherungsgefühle.
  • Regelmäßige körperliche Bewegung: Trainingsprogramme (zB aus dem Internet)  helfen auch ihre psychische Grundsituation anhaltend zu stabilisieren.
  • Pflegen Sie regelmäßig Ihre sozialen Kontakte! Das Fortführen sozialer Kontakte trotz Isolation (durch zB Anrufe, Videochats,..), stellt einen wichtigen haltgebenden Faktor für den Umgang mit Isolation dar. Es erinnert Sie an die Verbundenheit im sozialen Umfeld und verringert damit Einsamkeits- bzw. Isolationsgefühle.
  • Nützen Sie die Zeit bewusst um etwas Neues anzugehen (zB ein neues Hobby) oder schon lange aufgeschobene Vorhaben umzusetzen.

 

Wo können Unternehmungen und Führungskräfte die Resilienz bei Mitarbeitern fördern?

 

Grundsätzlich ist Resilienz, als Fähigkeit schwierige Lebenserfahrungen ohne anhaltende Beeinträchtigung der psychischen Stabilität zu erleben, vorerst einmal ein innerer Persönlichkeitsfaktor  in Jedem  von uns. In der Kindheit erlebte positive  Erfahrungen von  Wertschätzung, Unterstützung und Ermutigung ermöglichen sich psychisch widerstandsfähig zu entwickeln. Doch auch im Erwachsenenalter können wir die Weiterentwicklung der eigenen Resilienz fördern. Hierbei spielt zum Beispiel die  Akzeptanz, dass Krisen und Herausforderungen nun mal immer wieder zum Leben dazu gehören  eine wichtige Rolle. Gleichzeitig ist es wesentlich sich bewusst zu machen, dass ich bei der Bewältigung aber auch aktive Möglichkeiten  der Einflussnahme und damit auch Möglichkeiten für sicherheitsgebende  Kontrolle habe (Stichwort  positives Selbstbild, Glaube an die eigenen Fähigkeiten auch herausfordernde Situationen zu meistern, Optimismus).  Ein weiterer Faktor ist das Aufbauen eines sozialen  Netzes, welches Unterstützung und das Gefühl nicht alleine einer schwierigen Situation gegenüber ausgesetzt zu sein, ermöglicht. Dies bringt für Jeden selber die Gelegenheit umgekehrt auch hilfreich für Andere zu sein- ein wichtiger Bewältigungsfaktor als Gegenpol zu inaktivem, passivem Hilflosigkeitsgefühl in Krisensituationen.

 

Auch für Unternehmen und Führungspersonen ist die psychische Resilienz der Mitarbeiter ein wichtiger Faktor, nur so wird produktives und qualitätsvolles Arbeiten auch in belastenden Krisensituationen möglich sein. Alles was die Widerstandsfähigkeit der Mitarbeiter unterstützt und fördert, ist daher auch im Sinne der Wahrnehmung einer Sorgfaltsverpflichtung als Leitungsaufgabe sinnvoll und wichtig. Hierbei sind die Unterstützungsmöglichkeiten multifaktoriell: von grundlegenden innerbetrieblichen Maßnahmen  wie zum Beispiel der Verbesserung von Teamarbeitsabläufen, Transparenzmachung der Handlungsziele und Kommunikationsabläufen, Einbeziehung in Entscheidungsprozesse, Anbieten von Arbeitszeitmodellen, welche eine ausgeglichene Life-Work Balance ermöglichen, Achten auf die Inanspruchnahme regelmäßiger Pausen und Erholungszeiten für Mitarbeiter bis hin zu persönlichkeitsbildenden Angeboten (wie zB das in unserem Haus angebotene Resilienzseminar) sowie Angebote zum Erlernen von Stressreduktion seien hier nur beispielshaft erwähnt.

 

Der Berufsverband der österreichischen Psychologinnen und Psychologen hat für Zeiten veränderter Arbeitsbedingungen, wie zum Beispiel zuletzt  durch die notwendig gewordene Homeofficearbeit, folgende Punkte als Handlungsorientierung für Führungsperson formuliert:

 

  • Versuchen Sie möglichst viele Routinen mit Ihrem Team weiterhin aufrecht zu halten (Tagesplan mit Beginn, Pausen, Ende), fixe Kommunikationszeiten mittels Telefon, Chatgruppe oder Videotelefonie als fixer Anker
  • Klare Anweisungen bei Auftragserteilungen und klare Richtlinienformulierung (wenn es keine  Möglichkeit zum Nachfragen vor Ort gibt) und rasches Feedback zur Orientierung der Mitarbeiter
  • Kommunizieren Sie vereinbarte Erreichbarkeitszeiten
  • Und als wichtigster Punkt: vertrauen Sie darauf, dass Mitarbeiter ihr Bestes geben, bringen Sie Wertschätzung für die erbrachten Leistungen trotz Ausnahmesituation zum Ausdruck , achten Sie auf mögliche Überforderungen der Mitarbeiter durch mögliche Mehrfachbelastungen (Homeoffice neben Homeschooling der Kinder,..) und zeigen Sie Verständnis!

 

Wo bekomme ich (als Mitarbeiter) Hilfe?

 

Grundsätzlich können sich immer alle Mitarbeiter der Barmherzigen Brüder Wien in emotionale Krisensituationen an uns, als Team des psychologischen Dienstes, mit der Bitte um Unterstützung wenden. In den letzten Wochen haben wir neben persönlichen Gesprächen vor Ort auch telefonisch mit Mitarbeitern in Quarantäne Kontakt gehalten.  Aber auch außerhalb unseres Hauses gibt es eine Vielzahl von Beratungsstellen, die Menschen in Krisensituationen begleiten. Als Beispiel  kann hier die Hotline des Berufsverbandes österreichischer Psychologinnen und Psychologen unter 01/5048000,   die Telefonseelsorge unter 142,  die Ö3 Kummernummer unter 116 123 oder die Psychotherapie- Helpline des WLP unter 0720/12 00 12 genannt werden. Auch gehörlose Menschen können unter 0676/5906955 mittels Videotelefonie Unterstützung bekommen (in österreichischer Gebärdensprache).

 

Was kann ich tun, um anderen (Kollegen) zu helfen?

 

Achten Sie auf einander! Gerade in Krisenzeiten ist ein wachsamer  Blick auf Andere, ein mitfühlendes Umgehen miteinander  ein wichtiger Unterstützungsfaktor. Falls Sie das Gefühl haben eine deutliche emotionale Belastung bei Menschen Ihres sozialen Umfelds wahrzunehmen, scheuen Sie sich nicht dies  direkt anzusprechen und ein entlastendes Gespräch anzubieten. Auch das wiederholte Hinweisen auf die Möglichkeit zur professionellen Hilfe kann einen entscheidenden Impuls für das erstmalige Aufsuchen von entlastenden Hilfsstrukturen bedeuten. Und erinnern Sie Betroffene immer wieder auch an deren eigene Problemlösekompetenzen und Erfahrungen, mit deren Hilfe sie schon frühere herausfordernde Lebenssituation erfolgreich gemeistert haben.

 

Österreichische Ordensprovinz des Hospitalordens des heiligen Johannes von Gott
Taborstraße 16
1020 Wien

   Gutes tun und es gut tun!

    Motto des hl. Johannes von Gott
    (1495-1550)

 

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